Seit 1988 kämpft die Moskauer Mathematikdozentin Swetlana Gannuschkina, 73, für Flüchtlinge und Vertriebene in Russland. Die russische Menschenrechtlerin, Trägerin des Stieg-Larsson-Preises, des Menschenrechtspreises von Amnesty International und mehrfach vorgeschlagen für den Friedensnobelpreis, hat sich durch die aktuellen Entwicklungen in ihrer Heimat niemals einschüchtern lassen. In ihrem Buch erzählt die enge Freundin der ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja über ihren Kampf gegen Unrecht und Unterdrückung sowie ihr Engagement für die Menschen in Russland.
Auch wir sind Russland ist zugleich Biografie und Deutung der aktuellen Situation eines Landes im Zerfall. Swetlana Gannuschkina analysiert mit großem Erfahrungsschatz ein korruptes Rechtssystem, prangert die Annexion der Krim genauso an wie Methoden der Regierung, den Terrorismus im Land mit Terror zu bekämpfen. Eindringlich schildert sie ihre Arbeit für Flüchtlinge und Vertriebene, aber auch den Verlust ihrer ermordeten Freundinnen, Anna Politkowskaja und Natalja Estemirowa. Sie zeigt ein Land, in dem Unschuldige im Strafvollzug gefoltert werden und die Fremdenfeindlichkeit bedrohlich wachst. Ein Land, das sie für seine Kultur und seine Menschen liebt. Ihr Buch weist alle »Putin-Versteher« im Westen zurecht und stellt uns vor die aufrüttelnde Frage, wie wir mit unserem großen Nachbarn in Zukunft weiter zusammenleben können.
»Ohne Pathos, ohne große Worte. Und furchtlos: So agiert jemand, für den Menschenrecht ein Naturgesetz ist.« Ina Ruck, ARD-Korrespondentin in Moskau
»Wir brauchen solche Menschen wie Gannuschkina in diesen dunklen Zeiten«
Aus der Laudatio zur Verleihung des Schwarzkopf-Europa-Preises 2014
• Das Zeugnis der mehrfach für den Friedensnobelpreis nominierten Menschenrechtlerin
• Trägerin des Stieg-Larsson-Preises
• Newsweek nannte Swetlana Gannuschkina eine der mutigsten Frauen der Welt
Interview mit der Autorin:
Wie ist es, Menschenrechtlerin in einem Land zu sein, wo die schärfsten Kritiker ermordet oder zum Schweigen gebracht werden?
2006 tauchte Ihr Name mit Foto und Anschrift auf einer Todesliste von Nationalisten im Internet auf, verbunden mit einem Mordaufruf. Wie gehen Sie mit dem Gefühl der ständigen Bedrohung um?
Swetlana Gannuschkina: Als Mathematikerin nehme ich das als einen Teil der Realität zur Kenntnis, mehr nicht. Aber sicher ist es ein merkwürdiger Gedanke, dass man jederzeit irgendwo erschossen werden kann.
In Ihrer Arbeit sichten Sie Fotos Inhaftierter mit durchnagelten Füßen, Sie prüfen Geschichten von brutal vergewaltigten tschetschenischen Mädchen, erleben, wie Unschuldigen gefälschte Beweise untergeschoben werden. Woher nehmen Sie Ihre Kraft?
Swetlana Gannuschkina: Die Regierung verpasst mir mit ihrem Verhalten die nötige Dosis Adrenalin dazu. Solange es Menschen gibt, die Hilfe brauchen, muss man ihnen helfen.
Swetlana Gannuschkina zum Literaturnobelpreis für Swetlana Alexandrowna Alexiewitsch
Ich freue mich sehr für Swetlana Alexandrowna Alexiewitsch.
Ich freue mich, weil sie den Nobelpreis für Literatur erhalten hat und ich freue mich, weil sie nun schon drei Jahre wieder in ihrer Heimat, in Belarus, leben kann.
Swetlana Alexiewitsch hat ihre eigene für sie so charakteristische Literatur geschaffen, in der sich zwei wichtige Elemente, das Dokumentarische und das Künstlerische auf einem sehr hohen Niveau gleichzeitig finden. Alle ihre Bücher gehen auf die wichtigsten Ereignisse ein und beleuchten gleichzeitig Aspekte des menschlichen Lebens, die fast schon intim sind. Wir haben uns einmal getroffen. Das war 2002 – oder auch schon 2003. Damals lebte Swetlana Alexandrowna nicht in Belarus. Sie war in Europa und auch in Russland. Irgendwer, ich weiß nicht mehr, wer es war, sagte mir am Telefon, Swetlana Alexiewitsch sei in Moskau und arbeite an einer Sammlung von Liebesgeschichten, und zwar nicht einfacher Liebesgeschichten, so im Stil eines modernen „Romeo und Julia". Und sie hatte über diesen Bekannten wissen wollen, ob ich nicht derartige Geschichten von Flüchtlingen hätte. Natürlich hatte ich. Ich suchte sie in Moskau auf und hatte einen ganzen Abend lang eine sehr aufmerksame und dankbare Zuhörerin. Zwei Geschichten hatten sie besonders interessiert. Und diese Geschichten wollte sie gerne von den Frauen persönlich hören und sie nach deren Erzählungen aufschreiben. Ich habe die beiden Frauen angesprochen und die mussten erst lange überlegen. Doch ich konnte sie überzeugen. Sie sprachen mit Swetlana Alexandrowna und sie kehrten sehr erfreut von diesem Gespräch zurück. Dieses Buch, sie wollte ihm den Titel: „Der wunderbare Hirsch der ewigen Jagd" geben, ist meines Wissens noch nicht fertiggestellt. Ob unsere Liebesgeschichten dort auch wiedererzählt werden? Warten wir es ab. Ich glaube, heute gibt es nichts wichtigeres als über die Liebe zu reden. (Übersetzt von Bernhard Clasen)